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Wir möchten hier unsere neue Rubrik vorstellen um für Themen, die uns aktuell wichtig sind, eine Diskussion anzustoßen und auch zu informieren.

In regelmäßigen Abständen werden wir uns aktuellen Themen widmen


Heute 05.04.2022 geht es um die aktuelle Studie mit dem Titel „Familienrecht in Deutschland – Eine Bestandsaufnahme“

Der Autor des Berichts, hat über mehrere Jahre die Entscheidungsabläufe und ihre Hintergründe in Familiengerichten und Jugendämtern ausgewertet, die die Trennung – vor allem von alleinerziehenden Müttern – von ihren Kindern zur Folge hatten oder deren Trennung zumindest angestrebt wurde.

Die gesamte Studie finden Sie unter:

https://www.familienrecht-in-deutschland.de/studie/

 

Romy Stangl hat hierzu ein Statement geschrieben, dass wir hier veröffentlichen dürfen.

Diese Studie zeichnet ein klares und erschreckendes Bild über unser Familienrecht und die damit verbundene systematische Schädigung gewaltbetroffener Mütter und Ihrer Kinder, die seitens eines Landes, das eine der reichsten Demokratien dieser Welt ist, geduldet wird. Immer wieder erfahre ich im Austausch mit gewaltbetroffenen Frauen und Ihren Kindern, dass weder die Gefährdung der gewaltbetroffenen Frauen noch die Kindeswohlgefährdung durch das Miterleben häuslicher Gewalt in Umgangs- und Sorgerechtsverfahren eine besondere Berücksichtigung finden. Wie kann das sein? Es besteht teilweise die Annahme, häusliche Gewalt sei mit der Trennung erstmal vorbei. Studien belegen, dass gerade die Trennungsphase als Risikofaktor für gewaltbetroffene Frauen benannt ist, und auch nach der Trennung sind diese Frauen besonders gefährdet, Opfer von schweren Gewalttaten zu werden. Teilweise werden die Folgen der Gewalt für die Mutter - also zum Beispiel Traumatisierung, Depressionen, unsichere wirtschaftliche Verhältnisse und Aufenthalt im Frauenhaus - der Mutter in Verfahren des Familiengerichts sogar negativ ausgelegt. Als Folge von Traumatisierung wirkt sie womöglich labil, ihre Aussage wird von Gutachter*innen als weniger konsistent und glaubwürdig wahrgenommen oder sie zeige Anzeichen einer psychischen Erkrankung. Unbeachtet bleibt dabei oft, dass die Mutter erst durch die Gewalt des Vaters in diese Lage geraten ist.

Zunächst scheinen die gesetzlichen Regelungen, insbesondere in § 26 FamFG, der Anforderung zu entsprechen, dass vorherige Gewalt in Sorge- und Umgangsverfahren berücksichtigt und eine Gefährdung der gewaltbetroffenen Frau und ihrer Kinder ausgeschlossen wird. In der Praxis weisen Gewaltschutzverfahren aber weiterhin Probleme auf wie insbesondere den richterlichen Verzicht auf getrennte Anhörung oder das gerichtliche Hinwirken auf eine vergleichsweise Lösung – beides oft zum Nachteil der Gewaltbetroffenen. Die Gefährdung und psychische Belastung für die Kinder wird in vielen Fällen heruntergespielt, es gilt oft nach wie vor das Dogma „Lieber ein schlagender Vater als gar kein Vater“, oder auch „Nur weil er die Mutter schlägt, ist er noch lange kein schlechter Vater“.

Vor allem in Umgangs- und Sorgeverfahren wird deutlich, dass Behörden und Gerichte die Auswirkungen des Miterlebens sog. häuslicher Gewalt auf Kinder, die strategische Nutzung des Umgangsanspruchs durch Täter zur Erzwingung eines Kontakts mit der Expartnerin und die eingeschränkten Schutzmöglichkeiten über längere Zeit gewaltbetroffener Frauen nicht hinreichend bekannt sind bzw. nicht hinreichend berücksichtigt werden.

Wenden sich betroffene Mütter hilfesuchend an Jugendämter, so wird oft die Erfahrung gemacht, dass man sich derartigen Fällen kaum im gewünschten Maße annimmt. Dabei ist es deren Verpflichtung, Hilfesuchende darin zu unterstützen, dass die Kinder und die Beteiligten geschützt sind. Stattdessen verwenden diese Ämter, in vielen Fällen Aussagen von ratsuchenden Müttern, als Freifahrtschein, für deren Kindesentzug. Kann man dahinter System vermuten? Denn zur gleichen Zeit schießen Väter-Lobbys wie Pilze aus dem Erdboden. Betroffenen Müttern wird es immer schwerer gemacht, für die Sicherheit und den Schutz ihrer Kinder zu sorgen. Sie werden abgestempelt als bindungsintolerante Umgangsverweigerinnen, die den Vätern die Kinder vorenthalten, usw. Natürlich lässt man dabei die Vorgeschichte und früheren Angebote dieser Mütter gerne unter den Tisch fallen, denn das sei ja Vergangenheit und man beschäftige sich nur mit Gegenwart und Zukunft im familiengerichtlichen System.

Fachbehörden und Gerichte müssen sensibler reagieren, dürfen nichts bagatellisieren, müssen die Betroffenen unterstützen und erkennen, dass Kinder von Gewalt gegen die Mutter ebenso betroffen sind wie die Mutter selbst. Der Faktor Zeit spielt hier eine wichtige Rolle. Die Justiz muss sich Zeit lassen für ihre Entscheidung bezüglich der Umgangsregelung, auch Fachpersonal und Menschen anhören, die mit dem Kind zu tun haben wie Sozialarbeiter*innen, Lehrer*innen oder Erzieher*innen. Dem steht immer noch das Beschleunigungsgebot in familiengerichtlichen Verfahren im Weg. Mit Blick auf die staatliche Verpflichtung sicherzustellen, dass die Ausübung des Besuchs- und Sorgerechts nicht die Rechte und die Sicherheit des Gewaltopfers oder der gemeinsamen Kinder gefährdet, ist die deutsche Praxis weiterhin stark verbesserungsbedürftig.

Diese Studie ist ein Spiegel, welcher unserem System in aller Klarheit die traurige Komplexität im Familienrecht und deren Folgen aufzeigt, welchen gewaltbetroffene Mütter und Ihre Kinder ausgesetzt sind. Und ich hoffe, dass sie zu Diskussionen und daraus folgenden Ansätzen zur nachhaltigen Änderung der Handlungs- und Sichtweise im Familienrecht führt. Es sind alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass vorherige Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt in Sorge- und Umgangsverfahren angemessen berücksichtigt wird. Das Miterleben von Gewalt muss als Kindeswohlgefährdung eingestuft werden. Die Sicherheit des Kindes und der Schutz vor Gewalt sollten die wichtigsten Kriterien bei der Kindeswohlprüfung sein. Gewalt gegen die Mutter sollte daher auch bei der Einschätzung der Erziehungsfähigkeit des Vaters berücksichtigt werden. Der Gewalttäter sollte beweisen müssen, dass er Verantwortung für sein Handeln übernimmt, und bereit ist, sein Verhalten zu ändern, z.B. durch Täterarbeit. So lange sollte der Umgang ausgesetzt werden.

Es wird Zeit, endlich eine Angleichung der Gesetze vorzunehmen und eine Rechtsgrundlage zu schaffen, um den Schutz der betroffenen Mütter und deren Kinder zu gewährleisten.


Romy Stangl ist Mutter von zwei Kindern, Angestellte im öffentlichen Dienst, Mitgründerin der „Die Friedensstifter“, Bezirksvertreterin des Landeselternverbandes Realschulen Oberbayern Ost (LEV-RS), Kolumnistin, Moderatorin und Speakerin zu den Themen häusliche Gewalt und Präventionsarbeit an Schulen.
Als Menschenrechtsaktivistin engagiert sie sich zum Thema Gewalt im sozialen Nahraum gegen Frauen und Kinder, gemeinsam mit verschieden Frauenrechtsorganisationen für die Rechte von Frauen und Kindern. Seit drei Jahren ist sie Vorstand von One Billion Rising München e. V. Überdies begleitet sie ehrenamtlich Frauen und ihre Kinder, welche von häuslicher Gewalt betroffen sind, auf ihrem Weg aus dieser Situation.  Derzeit realisiert sie ein ganzheitliches Schutzhauskonzept für von Gewalt betroffene Frauen, Kinder und Jugendliche. 

 Außerdem hat sie das Anti-Gewalt Präventionskonzept für Schulen, „Die Friedensstifter“ mitentwickelt und im Zuge der Entwicklung des Präventionskonzeptes " Die Friedensstifter" für Schulen und Erziehungseinrichtungen, Vorträge zu den Themen Gewaltprävention an Schulen und häusliche/sexualisierte Gewalt ausgearbeitet und diesen bereits erfolgreich auf pädagogischer und politischer Ebene vorgestellt.


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